Menschen, die Facebook, Google und Co. nutzen, sind nicht "dumm"

cn Ableismus

Disclaimer: Dies bezieht sich nicht auf einzelne Personen oder Ereignisse, sondern basiert auf meinen Erfahrungen vor allem auf XMPP in letzter Zeit.

Auf XMPP und teilweise auch im Fediverse bekommt mensch früher oder später einen Satz wie "Leute, die immer noch WhatsApp nutzen, sind echt dumm" oder "Leute, denen Datenschutz nicht wichtig ist, sind echt dumm" zu hören. Und das stört mich. Denn zum einen ist das ableistisch¹, und zum anderen einfach falsch. Diese Menschen sind nicht dumm oder in irgendeiner Weise kognitiv beeinträchtigt. Nein, sie wissen es vermutlich einfach nicht besser.

Erinnert ihr euch noch daran, wie ihr mit XMPP und freier Software angefangen habt? Die wenigsten von uns dürften von Beginn an, dauernd und ausschließlich FOSS verwendet haben. Viele haben eher irgendwann angefangen, den Status Quo mit Google, Facebook und Microsoft zu hinterfragen und sind dann hier gelandet. Sie haben ihr Smartphone entgooglet, eine andere Suchmaschine eingestellt und sich einen XMPP-Account (oder Matrix oder was auch immer, das sind nur Beispiele) angelegt und hatten plötzlich Zugang zu einer ganz neuen Welt. Doch dahinter steckt viel Arbeit. Nicht alle haben die Zeit oder die Energie dafür. Und das ist okay. Wir wollen nicht, dass uns Techgiganten unser digitales Leben diktieren, warum sollten wir dann das digitale Leben unserer Mitmenschen diktieren? Sachlich informieren und höflich bleiben ist hier das Stichwort.

Wer angefangen hat, sich zu informieren, hat oft schon die größte Hürde überwunden. Denn wann bringen schon große Newsportale Artikel zu "sinnvollem" Datenschutz? Richtig, quasi nie. Und damit wären wir wieder bei dem Punkt, dass die allermeisten es schlicht und ergreifend nicht besser wissen. Woher denn auch? Niemand informiert sie, sie denken nicht darüber nach, niemand schreibt Artikel für bekannte Zeitungen, weil angeblich keine_r sich dafür interessiert. Ein Teufelskreislauf, aus dem mensch aktiv ausbrechen muss. Die ersten Artikel, die Menschen finden, wenn sie sich mit Datenschutz und Sicherheit beschäftigen, empfehlen häufig VPNs, Virenscanner und Telegram als ultimativen Schutz. Und nicht alle schaffen es, den Quatsch, der hinter diesen Empfehlungen steckt, als solchen zu erkennen - sie wissen es ja nicht.

Wenn die Leute es dann geschafft haben, ins Fediverse oder zu XMPP zu kommen, ist der Empfang auch nicht immer der herzlichste. Klar, als erstes kommen freudige Nachrichten á la "Hallo xy! Schön, dass du da bist! Bei Fragen melde dich einfach". Aber dann geht es direkt wieder um Fachbegriffe und ziemlich schnell fällt das erste Mal der Satz "Menschen, die [Unternehmen] nutzen, sind ja echt dumm". Das kann echt demotivierend sein, denn gerade am Anfang hat mensch sich oft nicht von null auf hundert von allen diesen Apps und Firmen getrennt. Und auch später können manche Menschen das "perfekte Datenschutzideal" nicht immer erreichen, sei es aus beruflichen Gründen, wegen mangelnder Zeit und Energie oder weil sie einfach einen Kompromiss eingehen müssen. Und Überraschung, auch Menschen, die selbst einen XMPP-Server betreiben, ausschließlich auf Linux setzen und regelmäßig an F-Droid spenden, nutzen Signal und Threema, hören über unfreie Dienste Musik und haben mehr als einmal etwas bei Amazon bestellt. Trotzdem würde niemand hier auf die Idee kommen, diese Leute als dumm zu bezeichnen.

Last but not least kann es eine recht anstrengende und isolierende Erfahrung sein, sich so dem Datenschutz zu verschreiben. Mensch verpasst Sachen, die für soziale Interaktion wichtig sind - Twitter! Instagram! TikTok! -, sieht sich überall mit Unverständnis konfrontiert, wenn er_sie auf einmal einen anderen Messenger nutzt und investiert allgemein ziemlich viel Zeit in sein_ihr digitales Leben. Auch das schaffen nicht alle. Vor allem für Menschen aus marginalisierten Gruppen kann das sehr schwer sein, da ihnen im Fediverse und auf XMPP oft die Gruppen zum Austausch fehlen, die sie z. B. auf Twitter sehr leicht finden würden.

Um es zusammenzufassen: Hört auf, Leute, die datenhungrige Software verwenden, als dumm zu bezeichnen. Das ist ableistisch und falsch, sie wissen es oft einfach nicht besser. Seid verdammt nochmal freundlich zu einander.

¹Ableismus bezeichnet die (systematische) Diskriminierung von behinderten Menschen. Wenn Menschen als "dumm" bezeichnet werden, weil sie etwas in den Augen anderer negatives tun, ist das ableistisch, da somit Behinderungen als etwas negatives dargestellt werden und behinderte Menschen abgewertet werden.