Anosmie – eine Welt ohne Gerüche

Wenn ich erzähle, dass ich nichts rieche, wird mir meistens gesagt, das ich froh sein kann, das ich gewisse Dinge nicht riechen kann. Und ja, wenn ich die Reaktion mancher auf Gestank sehe, denke ich, dass diese Leute recht haben. Es ist gut, nicht alles riechen zu müssen. Obwohl ich mir Gestank eigentlich nicht so richtig vorstellen kann. Wenn ich es doch versuche, denke ich dabei an den Geschmack, den man morgens im Mund hat wenn man sich am Abend nicht die Zähne geputzt hat oder wenn man sich übergeben hat. Und ja, ich kann schmecken. Ich kann süß, salzig, sauer, bitter und scharf schmecken. Und wenn ich mir Gestank wie den bitteren Geschmack vorstelle, dann kann ich gut und gerne darauf verzichten. Doch nicht riechen zu können, hat auch seine Nachteile. Ob schöne oder schlechte Gerüche, für mich ist alles gleich. Und das wird zum Problem, wenn es um stinkende Klamotten, Schimmel, Rauch und Gas geht. Das alles bemerke ich erst, wenn ich es sehe. Wobei, wenn man das Gas sieht, ist es höchstwahrscheinlich schon zu spät. Um zu erkennen ob Lebensmittel noch essbar und Klamotten noch tragbar sind, muss leider die Nase meines Verlobten herhalten. Bei Milchprodukten ist es gut, wenn man eine Katze hat. Wenn sie mit angewidertem Gesichtsausdruck zurückweicht, sollte die Milch oder der Käse nicht mehr verwendet werden. Es sei denn man möchte die nächsten sechs Stunden auf dem Klo verbringen. (Unfreiwillig für euch getestet)

Oft werde ich dann auch gefragt, wie für mich das Essen schmeckt und ob ich dann überhaupt Appetit habe. Appetit habe ich, besonders auf Süßes und Salziges. Es muss aber gut gewürzt sein. Nur was für mich gut gewürzt ist, ist für andere schon zu viel Gewürz. Wenn andere kochen, schmeckt das Essen für mich daher oft eher fad und ich muss nach würzen. Daher entscheiden meistens aussehen und Konsistenz, ob ich etwas mag oder nicht. Gemüse zum Beispiel mag ich nur, wenn es bissfest bleibt. Ich hasse glibberiges Eiweiß und Haut auf gekochtem Pudding oder Kakao. Das löst bei mir sogar richtige Würgereize aus. Suppen und Eintöpfe mochte ich als Kind nie, weil sie (wenn wir ehrlich sind) rein von der Optik oft nicht besonders schön aussehen. Es hat lange gedauert, bis ich mich dazu überwunden habe auch Speisen zu probieren, die optisch nicht so schön anzusehen sind.

Aber woran liegt es überhaupt, dass ich keinen Geruchssinn habe? Nun ich habe eine angeborene Choanalatresie. Das bedeutet, dass entweder eines oder beide hinteren Nasenlöcher verschlossen sind. Bei mir war eine Seite zu. Ich konnte also nur sehr schlecht durch die Nase atmen. Die Öffnung musste erst aufgebohrt werden. Anosmie (nicht riechen können) ist eine Begleiterscheinung dieses Krankheitsbildes. Dazu neige ich mein Leben lang zur verstopften Nase. Das ich nichts rieche, ist mir erst als Jugendliche so richtig aufgefallen. Natürlich habe ich schon als Kind bemerkt, das etwas anders ist. Für mich hat alles immer gleich gerochen. Egal ob darum ging anhand des Geruchs zu raten, was es heute in der Schulkantine zu essen gibt oder ob jemand in der Klasse gefurzt hat und alle „Ihh, XY hat gepupst!“ gerufen haben, für mich hat immer alles „gleich gerochen“. Trotzdem habe ich mitgemacht, weil das für mich immer eine Art Spiel war. Erst mit neunzehn ist mir richtig bewusst geworden, dass ich nichts rieche. Ich habe mich darüber im Internet schlau gemacht und gesehen, dass ich nicht die Einzige bin, die eine angeborene Anosmie hat. 1 Mensch von 800 Menschen wird ohne Geruchssinn geboren, das sind ca. 9.677.289 Menschen. Also gar nicht Mal so wenige. Und die Zahl steigt weiter mit dem Wachstum der Weltbevölkerung. Also an alle Anosmatiker da draußen: Ihr seid nicht alleine!