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Asiaticus 1931: Manabendra Nath Roy

in: Die Weltbühne, Berlin, XXVII. Jahrgang, Nr. 49 vom 8. Dezember 1931, S. 850–852

Am 21. Juli um 5 Uhr morgens hat die Polizei in Bombay ein jahrelang vergeblich verfolgtes und gehetztes Wild zur Strecke gebracht. Es ist Manabendra Nath Roy, nach dem Polizeibericht »the notorious Indian revolutionary and communist of international fame«.



Am gleichen Tage sind in Bombay zehn Inder unter der Anklage der Beherbergung M. N. Roys verhaftet worden. Es sind dies die Führer des Allindischen Gewerkschaftsflügels, des linken Flügels im National-Kongreß, der revolutionären Jugend- und Studentenorganisationen. Eine Riesenversammlung, einberufen vom Allindischen Gewerkschafts-Kongreß und von den Gewerkschaften der Textilarbeiter, Eisenbahner, Straßenbahner, Lederarbeiter und der Arbeitslosen-Assoziation, erklärte in ihrer Entschließung, daß die Verhaftungen »eine groß angelegte Offensive gegen die revolutionäre Bewegung der Massen Indiens für nationale Freiheit und einen Angriff auf die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung« darstellen. Von den genannten Organisationen wurde auch ein Verteidigungskomitee für M. N. Roy gebildet, dem sich namhafte Rechtsanwälte und Führer des Indischen National-Kongresses freiwillig anschlossen. Dies Komitee hat zu solidarischen Protestaktionen in Indien und der Internationale aufgerufen. Dank seiner Initiative, die auch in Europa und Amerika einen starken Widerhall gefunden hat, ist gegenwärtig in Indien eine stetig wachsende Massenbewegung unter der Losung »Save Roy« im Gange, die von der Kolonialjustiz mit dem hermetischen Abschluß Roys von der Außenwelt und zuletzt auch mit der Verhaftung seines Verteidigers beantwortet wurde.



Nach den Berichten der englischen Presse lautet die Anklage gegen M. N. Roy auf »waging war against the King« (Kriegführung gegen den König). Nach dem indischen Strafgesetzbuch steht darauf Todesstrafe oder lebenslängliche Deportation. Die Verhaftung erfolgte indessen unter Berufung auf Artikel 121 A »wegen Verschwörung und Verbrechens gegen den Staat«, begangen durch die angebliche Urheberschaft am Aufstand in Cawnpore 1924. Aufgrund des Steckbriefes ist M. N. Roy nach der Verhaftung in das Gefängnis von Cawnpore eingeliefert worden, wo seit dem 12. November sein Prozeß stattfindet, für den eine einmonatliche Dauer vorgesehen ist. Schuldig in diesem Falle bedeutet die Verurteilung zu lebenslänglicher Deportation oder zu Gefängnis nicht unter zehn Jahren. Die Untersuchung wird aber auch noch auf andre Fälle ausgedehnt. So soll nach englischen Pressemeldungen M. N. Roy »als leitendes Mitglied der Moskauer Internationale verantwortlich für die kommunistische Propaganda und Agitation in Indien« sein. Ferner soll er im Auslande »Verschwörungen gegen die Integrität des Britischen Reiches« angezettelt haben. Nach der »North China Daily News« soll er im Jahre 1927 als Vertreter der Kommunistischen Internationale in China »indische Soldaten und Polizisten zur Meuterei veranlaßt und gemeinsam mit Borodin die Propaganda gegen die britische Regierung geleitet haben.«



Das Niveau der Polizeiberichte in den kolonialen Ländern ist noch viel tiefer als in Europa, Es ist nur plumpe Polizeiabsicht oder Stupidität, wenn sie M. N. Roy als Verschwörer hinstellen. Sein wirklicher »Krieg gegen den König« bestand und besteht darin, daß er ein Vorkämpfer der Unabhängigkeit Indiens und der markanteste Führer der jungen indischen Arbeiterbewegung ist. Als solcher ist er auch zu großem Einfluß innerhalb der kolonial-revolutionären und der internationalen Arbeiterbewegung gelangt.



Das Dynamit dieses »Verschwörers« gegen die britische Herrschaft über Indien konnte fast ein Jahrzehnt lang nur aus seiner politischen und literarischen Arbeit in der Emigration bestehen. Wenn nun der britische Imperialismus M. N. Roy als den Verantwortlichen für »Verschwörungen und Aufstände« zur Richtstätte führen will, so muß sich dagegen gemeinsam mit der Kampffront für die indische Befreiung, mit den indischen Gewerkschaften und der revolutionären Jugend die ganze internationale Welt der Arbeit und des wirklichen Fortschritts erheben.



In Heft 41 der »Weltbühne« hat Alfons Goldschmidt das zehnjährige Bestehen der Internationalen Arbeiterhilfe gewürdigt und besonders ihr großes Werk der internationalen und überparteilichen Solidarität gefeiert. In engster Verbindung mit dieser Organisation steht bekanntlich auch die Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit. Wie ist es zu erklären, daß diese beiden Organisationen bisher mit keinem Wort öffentlich zu der Verhaftung Roys Stellung genommen haben? Die Internationale Rote Hilfe, die vorzugsweise eine Organisation zum Schutze der proletarischen politischen Gefangenen und Verfolgten ist, schweigt ebenfalls und schließt kurzerhand die Mitglieder aus, die nicht schweigen wollen. Noch mehr. Die Organisationen wie auch die Presse der Kommunistischen Internationale stehen mit in dieser Front des Schweigens, obwohl die Anklage gegen M. N. Roy wegen »Kriegführung gegen den König« sich zum größten Teil auf sein Wirken im Auftrage derselben Kommunistischen Internationale stützt. Warum wird M. N. Roy die elementarste proletarische Solidarität versagt?



M. N. Roy ist vor etwa drei Jahren wegen taktischer Streitfragen, wegen seiner Kritik an den Fehlern, die von der gegenwärtigen kommunistischen Führung während der chinesischen Revolution begangen wurden, sowie wegen der Kritik an ihrer Politik in Indien und in der gesamten Internationale ausgeschlossen worden. Der britische Imperialismus richtet aber M. N. Roy nicht, um diese Führung von einem unbequemen Kritiker zu befreien, sondern um den indischen Freiheitskampf, um den Emanzipationskampf der Werktätigen in den Kolonien zu treffen. Selbst wenn die Führung der Kommunistischen Internationale in dem Streit mit M. N. Roy recht hätte, selbst dann müßte sie alles, was in ihrer Kraft steht, aufbieten, um den Anschlag der britischen Reaktion zu vereiteln. Denn hier geht es nicht allein um eine Person, sondern um den Kampf des britischen Imperialismus gegen die indische Revolution.



Und die Internationale Arbeiterhilfe, die Anti-Imperialistische Liga, die Internationale Rote Hilfe – beginnt für diese Organisationen die Pflicht zur Hilfe und Solidarität erst mit der restlosen Zustimmung zu den Beschlüssen der Kommunistischen Internationale, mit der Anerkennung der Unfehlbarkeit der heutigen Führung? Wir richten die offene Anfrage an Alfons Goldschmidt, den Vorsitzenden der Internationalen Arbeiterhilfe, und an Clara Zetkin, die Vorsitzende der Internationalen Roten Hilfe: Soll das Schweigen Ihrer Organisationen um den Prozeß gegen M. N. Roy auch weiterhin ein beschämendes Beispiel bureaukratischer Mißachtung der unbedingt vorliegenden Pflicht zur Solidarität bieten? Soll der Hilfeschrei aus Indien hier ungehört verhallen? Sollen sich Ihre Organisationen in diesem Konflikt zwischen dem britischen Imperialismus und der indischen Revolution durch Schweigen auf die Seite des ersteren stellen?



Diese Anfragen sollen nichts andres sein als ein Appell an die wirkliche internationale proletarische Solidarität. Wie sich einst die Welt aufbäumte, als der Dollarimperialismus Saccos und Vanzettis Leben forderte, so soll die Solidarität der Ausgebeuteten und Unterdrückten den Opfern des britischen Imperialismus in Indien, so soll sie auch M. N. Roy beistehen. Nach den letzten Nachrichten droht Roy die Deportation für 10 Jahre, wenn nicht lebenslänglich nach der Andaman-Insel im Indischen Ozean. Muß man dann noch beweisen, daß hier taktischer Streit verstummen muß, daß antiimperialistische und proletarisch-revolutionäre Organisationen den Kampf um die Rettung von M. N. Roy vor der ihm drohenden physischen Vernichtung führen müssen?



Anmerkung: Die Schreibweise wurde weitestgehend wie im Original beibehalten. Nur offensichtliche Schreibfehler wurden korrigiert. Die Umschrift der chinesischen Orts- und Personennamen wurde der damals in deutschen Zeitungen üblichen (inkonsequenten) Schreibung angepaßt und dann durchgängig vereinheitlicht. (Eine Tabelle mit den Orts- und Personennamen in Pinyin und weiteren gebräuchlichen Umschriften am Ende der Artikelserie.)