Kapitel 5 Teil 1: „Fukushima-Katastrophe und die Olympischen Spiele in Tokyo – Wegsehen von der Wahrheit ist eine Straftat (Auszug)

Hiroaki Koide

Der folgende Beitrag ist ein Auszug der Veröffentlichung des Verfassers: „Fukushima-Katastrophe und die Olympische Spiele „Kei-Shobo-Verlag, Japan 2019. Für seine freundliche Genehmigung für die folgenden Zitate bedankt und das Lesen der Übersetzung des Buchs empfohlen. (Bemerkung von Etsuji Watanabe)

Am 11. März 2011 ereignete sich ein großes Erdbeben, dem ein Tsunami folgte und auch die Atomkraftwerke Fukushima Daiichi von Tokyo Electric Company (Tepco) traf. Es folgte ein totaler Stromausfall.

Fachleute hatten vorher einstimmig vorausgesehen, dass ein totaler Stromausfall die wahrscheinlichste Ursache eines katastrophalen Atomunfalls ist. Und genau dieser Einschätzung entsprechend schmolzen die Reaktoren von Fukushima Daiichi AKW und stießen eine enorme Menge radioaktiven Materialien in die Umwelt aus…

In den geschmolzenen Reaktoren Nr. 1, 2 und 3 gab es so viel Cäsium 137 wie von etwa 8000 Hiroshima-Bomben. Die bis jetzt ausgestoßenen Radioaktivität mag etwa von 1000 Hiroshima-Bomben entsprechen.

Cäsium 137 ist eines von mehreren radioaktiven Elementen, die die Kernspaltungen aus radioaktivem Uran erzeugt, und das ist das radioaktive Material, das nach dem Unfall in Fukushima die Menschen am meisten bedroht. Das bedeutet, dass große Teile der radioaktiven Materialien, die ursprünglich mitten in den Reaktoren gelegen waren, immer noch in den havarierten Gehäusen etc. liegen. Um die Weiterverbreitung der Materialien zu vermeiden, wird seit dem Unfall ständig Wasser, jetzt auch, zu den geschmolzenen Brennstoffen, deren Lage immer noch nicht ganz klar ist, gegossen. Infolgedessen entstehen jeden Tag einige hunderte Tonnen kontaminiertes Wassers.

Tepco hat auf der Gelände nahezu 1000 Tank mit dem kontaminierten Wasser gelagert mit inzwischen über 1 Million t. Für das Aufräumen der geschmolzenen Brennmaterialien ist es am wichtigsten, sie aufzuspüren und an einen sicheren Ort zu bringen. Aber man weiß immer noch nicht, auch acht Jahre später, wo und in welchem Zustand sie liegen. Das Aufräumen ist sehr schwierig, denn man weiß nicht wo sie liegen und kann deshalb nicht zielgerichtet auf diese Stelle zugehen.

Wenn das havarierte Kraftwerk von Öl oder Gas betrieben worden wäre, wäre die Sache viel einfacher gewesen. Obwohl das Feuer lange Zeit brennen würde, würde solch ein Werk nach dem Löschen zugänglich sein. Man untersucht den Unfall, repariert notwendige Stelle und eventuell kann das Werk wieder betrieben werden.

Aber bei einem Unfall eines Atomkraftwerks kann kein Mensch zur Unfallstelle gehen, denn es würde den Tod bedeuten. Die Regierung und Tepco wollten stattdessen Roboter zu der Stelle gehen lassen, aber ein Roboter ist gegenüber der Radioaktivität nicht stabil. Sie kann die eingegebene Order in IC-Chips im Roboter verändern, so dass die Order umgeschrieben wird. Daher sind fast alle Roboter, die eingesetzt wurden, nicht zurückgekehrt.

Ende Januar 2017 führte Tepco in dem Podest aus Beton, auf dem der Reaktordruckbehälter vor dem Unfall stand, ein ferngesteuertes Kamerasystem, wie bei einer medizinischen Untersuchung, ein. Festgestellt wurde dabei, dass ein großes Loch auf dem Arbeitsgestell aus Stahl entstanden und der geschmolzene Reaktorkern durch den Boden des Behälters weiter nach unten gefallen ist.

Und noch etwas wichtigeres wurde auch gefunden.

Die radioaktive Exposition von 8 Gy an ganzen Körper ist für Menschen tödlich. Die radioaktive Menge direkt unter dem Druckbehälter beträgt 20 Gy/h, was schon als ein sehr hoher Wert gilt. Aber die gemessene Werte, noch nicht einmal direkt unter dem Behälter, waren 530 bis 650 Gy. Die Stelle mit diesen hohen Werten war nicht innerhalb des runden Podestes, sondern zwischen der Außenwand des Podestes und der Wand des Reaktorbehälters.

Tepco und die Regierung gingen von der Annahme aus, dass der geschmolzene Reaktorkern im Podest wie ein Knödel gelagert werden sollte, so dass „in 30 bis 40 Jahren der geschmolzene Kern eingesammelt und in einem sicheren Behälter versiegeln würden. Und das wäre das Ende der Aufräumarbeiten des Unfalls.“

Aber die Realität ist anders und das geschmolzene Brennmaterial ist außerhalb von dem Podest gefallen und teilweise auch verflüchtigt. Notgedrungen schrieben die Regierung und Tepco den Plan um. Sie wollten anfangen, in die Reaktorbehälter zu bohren um aus dem Loch das radioaktive Material zu holen. Aber bei solcher Arbeit würden die Arbeiter zu hoher radioaktiven Exposition ausgesetzt, deshalb ist es nicht möglich. Es ist einfach keine Lösung.

Ich habe schon direkt nach dem Unfall vorgeschlagen, dass diese Unfallstelle wie bei Tschernobyl mit einem Sarkophag versiegelt werden sollte.

Der erste Sarkophag in Tschernobyl wurde nach 30 Jahren porös, so dass der noch größere zweite Sarkophag im November 2011 fertig gestellt wurde. Die Lebensdauer des Zweiten soll 100 Jahre sein. Aber man weiß nicht, was für eine Methode nach 100 Jahren möglich sein wird. Niemand von den jetzt lebenden Menschen kann das Ende des Unfalls erleben. So werden auch die jetzt lebenden Menschen das Ende der Aufräumarbeit des Fukushima-Unfalls nicht mehr erleben.

Falls es gelingt, den geschmolzenen Reaktorkern in einem Behälter zu versiegeln, würde es aber immer noch nicht bedeuten, dass die hohe Radioaktivität damit erlöscht wäre. Ganz im Gegenteil: Der Behälter muss für einige zehntausend bis eine Million Jahre lang sicher aufbewahrt werden. Außerdem passieren immer noch höchst tragische Dinge im Umfeld des AKWs.

An dem ersten Unfall-Tag wurde der atomare Ausnahmezustand erklärt und eine Zwangsevakuierung angeordnet. Die Sperrzone wurde erst innerhalb 3 km, dann 10 km und am Ende 20 km vom AKW festgelegt.

Die Erklärung eines atomaren Ausnahmezustandes soll bei einem sehr schweren Unfall eines AKWs dem Gesetz „für die Sondermaßnahme bei einem Reaktor-Unfall“ zufolge von dem Ministerpräsident abgegeben werden. Wegen des Unfalls des Fukushima Daiichi AKWs von Tepco wurde diese Erklärung zum ersten Mal in der japanischen Geschichte am 11. März 2011 um 19:03 Uhr abgegeben und sie gilt weiterhin.

Mehr als ein Monat später wurde die Zwangsevakuierung auch für das Iidate-Dorf, das 40 bis 50 km vom Unfall-Reaktoren entfernt liegt, verkündet, obwohl die Dorfbewohner direkt nach dem Unfall keine Warnung oder Anweisung erhielten. Weil die hohe radioaktive Kontamination so spät festgestellt wurde, mussten alle Dorfbewohner ihre Heimat verlassen.

Was könnte eigentlich „das Glück für Menschen“ bedeuten?

Der Verfasser vermutet, dass es für viele Menschen ein glücklicher Zustand wäre, wenn die vor uns liegende Zeit ohne Sonderheiten verlaufen würde und man ruhige Tage mit der Familie, mit Kollegen, mit der Nachbarschaft oder mit lieben Menschen verbringen könnte.

Und dieser gewohnte Ablauf war eines Tages für sie plötzlich Vergangenheit.

Die Evakuierte mussten erst in eine Katastrophensammelstelle wie z. B. eine Sporthalle gehen, dann kamen sie in eine Notunterkunft mit sehr enger Räumlichkeit, später kamen sie in eine Wiederaufbauunterkunft, oder in eine Ersatz-Notunterkunft. Die Familie wurden teilweise getrennt bzw. zerstreut. Das bisherige Leben wurde im Ganzen zerstört und viele Menschen begingen aus Verzweiflung Selbstmord und begehen immer noch.*

* Die Zahl der Evakuierten 8 Jahre nach den Katastrophen: in der Präfektur (Pr.) Fukushima 41.299 Personen, in der Pr. Iwate 3.666, und in der Pr. Miyagi 2.083. Die Zahl der Toten in der Pr. Fukushima 2.250, in der Pr. Iwate 467 und in der Pr. Miyagi 928. Die Zahl der Selbstmorde in Pr. Fukushima 104, in der Pr. Iwate 50 und in der Pr. Miyagi 57.

Aber das ist noch nicht alles. Außerhalb der Zone mit Zwangsevakuierung wegen sehr hoher radioaktiven Kontamination entstanden noch weitere große kontaminierte Gebiete, die nach dem bisherigen Gesetz „als eine spezielle, radioaktiv kontrollierte Zone“ gelten soll.

„Eine spezielle, radioaktiv kontrollierte Zone“ sind solche Räume, in denen nur erwachsene Fachleute und Arbeiter, die mit Radioaktivität etwas zu tun haben und dadurch ihr Geld verdienen, ein- und ausgehen dürfen. In diesen Räumen dürfen auch Fachpersonen keinen Tropfen Wasser trinken, nichts essen und selbstverständlich nicht schlafen. In den Räumen gibt es keine Toilette, so dass man nichts ausscheiden darf. Aber wegen des Ausnahmezustandes ignorierte die Regierung dieses bisherige Gesetz und ließ einige Millionen Menschen in solche kontaminierten Gebieten (vergleichbar mit dem Sperrgebiet) im Stich und zwang sie dort weiter zu leben.

Die im Stich gelassenen Menschen, einschließlich Babys trinken dort Wasser, essen Lebensmittel und schlafen. Infolgedessen stehen sie vor der Gefahr der radioaktiven Exposition. Alle im Stich gelassenen Menschen haben Sorge und Angst, so dass einige Bewohner auf ihre bisherige Arbeit verzichteten, um die Radioaktivität zu vermeiden. Es gab Evakuierung einer ganzen Familie. Oder die Hauptverdiener, Väter blieben in der kontaminierten Gebieten, während Mütter mit ihren Kindern evakuierten, mindestens um ihre Kinder zu schützen. Aber diese Aktionen können die Struktur der Familie oder das Leben zerstören. Wenn die Bewohner weiter in den kontaminierten Gebieten bleiben, werden ihre Körper verletzt, wenn sie evakuieren, werden die Seele zerdrücken. Diese im Stich gelassenen Menschen leben die ganze Zeit (seit acht Jahren nach dem Unfall) mit sehr viel Leid in ihrem Leben.

Trotzdem gab die Regierung an die Zwangsevakuierten oder die von sich selbst Evakuierten eine Anweisung, dass sie in ihre bis unter 20 mSv/J kontaminierten Heimat zurückkehren sollten. Gleichzeitig kappte die Regierung das immerhin bis zum Zeitpunkt gegebenen Wohngeld für diese Menschen. Infolgedessen für viele der Evakuierten nichts anderes übrig, als zurückzukehren.

Momentan ist der Wiederaufbau in Fukushima das Wichtigste.

Wenn man keinen Ausweg hat, als dort zu wohnen, dann muss man nur auf den Wiederaufbau hoffen. Außerdem kann keiner mit viel Angst überleben. Man möchte die radioaktive Kontamination vergessen. Ob Glück oder Unglück, die Radioaktivität ist nicht sichtbar. Die Regierung und die Gemeinde wollen, dass ihre Bewohner die Radioaktivität vergessen. Deshalb wird den Menschen, die immer noch von der Kontamination und Angst sprechen, als Störfaktor für den Wiederaufbau bezeichnet.

Für erwachsene Menschen, die (wie ich früher auch war) mit Radioaktivität zu tun haben, hat der Staat den Grenzwert für die radioaktive Exposition von 20 mSv/J festgelegt. Daher ist es unentschuldbar, dass der Grenzwert für solche Menschen gültig erklärt wurde, die von der Exposition keinen Ausgleich bekommen. Außerdem sind Babys und Kinder auf Radioaktivität sehr empfindlich und haben gar keine Verantwortung für die japanischen rücksichtslosen Atomindustrie und dem Fukushima-Unfall. Die Entscheidung der Regierung, diesen Standard auch für die unschuldigen betroffenen Menschen gelten zu lassen ist das, was man nicht tun darf.

Trotzdem behauptet das Land Japan, dass dies unvermeidbar ist, weil man sich unter dem atomaren Ausnahmezustand befindet. Diese Behauptung wäre eher verständliche, wenn der Ausnahmezustand nur einen Tag, einen Monat oder eventuell leider ein Jahr gedauert hätte. Aber der atomare Ausnahmezustand ist auch nach 8 Jahren immer noch nicht aufgehoben.

Die Regierung will den Unfall von Fukushima bewusst vergessen lassen. Die Massenmedien schweigen bei diesem Thema und so vergisst auch die Öffentlichkeit, dass der atomare Ausnahmezustand immer noch nicht aufgehoben und das bisherige Gesetz ungültig gemacht wurde. Der Haupttäter der radioaktiven Kontamination in der Umwelt ist Cäsium 137 und dessen Halbwertszeit sind 30 Jahre. 100 Jahre nach dem Unfall wird die Menge nur auf 1 Zehntel reduziert sein. Das bedeutet, dass sich Japan auch nach 100 Jahre immer noch im atomaren Ausnahmezustand befindet...

...die totale Anstrengung mit allen Kräften vom Land, um den atomaren Ausnahmezustand möglichst schnell aufheben zu können ist jetzt das Wichtigste. Die Rettung der leidenden Menschen wegen des Unfall in Fukushima ist die dringendste Aufgabe. Die unschuldigen Kinder müssen vor der radioaktiven Exposition geschützt werden.

Trotz allem sieht das Land die Olympische Spiele als sehr wichtig. Der Machthaber will den Blick seiner Untertanen auf die Krise sehr eifrig abwenden lassen, auch wenn die Krise seines Landes immer stärker und umfangreicher wird. Und die Massenmedien lassen die Begeisterung für die Spiele weiter erhitzen, so dass die Zeit bald kommen wird, dass solche Sonderlinge, die gegen die Austragung der Spiele stehen, als Volksverräter beschimpft werden.

Es war genauso während des letzten Weltkriegs.

Die Massenmedien veröffentlichten nur das, was sie vom damaligen Kaiserlichen Hauptquartier bekommen hatten, und fast alle Menschen in Japan machten den Krieg mit. Je hervorragender sich Japaner überzeugen ließen, desto drastischer verurteilte er seinen Nachbarn (der sich gegen den Krieg äußerte) als Volksverräter, und er merzte ihn aus.

Wenn dieses Land die unschuldige Menschen im Stich lassend „die Olympische Spiele für wichtig „hält, dann möchte ich gerne Volksverräter sein.

Der Reaktorunfall in Fukushima bescherte uns eine große Tragödie, denn der Unfall wird für die nächsten hundert Jahre, nein, er wird für weitere hunderte von Jahren kein Ende finden. Die Unfallverursacher, Tepco, die Regierung, beratende Wissenschaftler und Massenmedien wissen von der Existenz vieler betroffener Menschen, aber keiner übernimmt die Verantwortung des Unfalls. Keiner ist auch vom Gericht verurteilt worden.

Sie benutzten diese vermeintliche Schuldlosigkeit und wollen die AKWs wieder betreiben und die AKWs möglichst auch ins Ausland verkaufen.

Die Olympische Spiele im atomaren Ausnahmezustand.

Die Staaten und die Menschen, die die Austragung mitmachen wollen, bekommen einerseits die Gefahr der radioaktiven Exposition, andererseits spielen sie dabei auch eine Rolle als Helfer bei der Straftat des Landes. 23. August 2018

Übersetzung ursprünglich veröffentlicht auf lorem.club.