Auf der Suche nach ein wenig Ruhe und norddeutschem Flair sind die Künstlerin Petra Weifenbach und ihr Mann, der Regisseur, Autor und Schauspieler Axel Siefer, aus der pulsierenden Kölner City in den ländlichen Kreis Plön gezogen. Gefunden haben sie beides in der beschaulichen Lütjenburger Altstadt, wo sie vor zwei Jahren ihr ATELIER-WEIFENBACH-SIEFER eröffnet haben. Während des Corona-Lockdowns ist ihnen hier neben künstlerischen Ideen noch etwas anderes begegnet: menschliche Nähe zu den neuen Nachbarn.
Eigentlich war Petra Weifenbach gut gebucht. Mit einer Ausstellung in Friedberg bei Frankfurt am Main und einer anderen in Köln schien das Frühjahr gesichert. Doch mit dem Coronavirus kam der Lockdown. Für Petra Weifenbach war das bitter: „Die Ausstellung in Köln ist erst einmal auf den Herbst verschoben“, sagt sie. Und die von der Corona-Pandemie inspirierte Ausstellung MANGEL beim Kunstverein Friedberg fand zwar statt, die Vernissage zur Eröffnung Anfang Juni allerdings ohne Publikum. Stattdessen gab es einen Videostream auf dem Youtube-Kanal des Kunstvereins. Immerhin – einerseits. Andererseits: „Viele Kunstkäufer schlagen nun einmal während der Vernissagen zu“, weiß Petra Weifenbach. Verkäufe blieben deshalb genauso aus wie das Netzwerken zwischen Künstlern, Galeristen und Publikum.
Utopie von Kunst als gehamsterte Mangelware
Was aber tun, wenn Ausstellungen dem Coronavirus zum Opfer fallen und deshalb Kunst nicht gesehen wird? „Anfang März noch war ich zur Vorbereitung der Ausstellungen viel in Köln und Süddeutschland unterwegs, als der Lockdown alles umwarf“, erzählt Petra Weifenbach. Als sie Mitte März wieder in Lütjenburg war, hatte sie Unmengen von Hinweisschildern in den Geschäften gesehen, mit denen die Inhaber ihre Kunden von Hamsterkäufen abhalten wollten. „Darauf war von ‚nicht lieferbar‛, ‚Mengenbeschränkungen‛ oder ‚begrenztem Kontingent‛ die Rede“, erinnert sie sich. Und weil in einer Überflussgesellschaft immer ausreichend angebotene Dinge nun plötzlich in absurden Mengen gekauft wurden, fragte sich Petra Weifenbach: „Was wäre, wenn die Menschen nicht Klopapier, sondern Kunst hamstern würden?“ „Klar, reine Utopie“, räumt sie ein. Aber eine Utopie, die den Kopf anregt und aus der Petra Weifenbachs Installation MANGEL hervorging. Dafür beklebte sie im Mai die Schaufenster ihres Ateliers in der Lütjenburger Altstadt mit bunten Plakaten, die frech, provokant und künstlerisch überhöht Kunst zur Mangelware erklärten.
„Die Pandemie macht Menschen sensibler gegenüber
gesellschaftlich brisanten Themen wie Rassismus“
Überhaupt: Moralinsauer gesellschaftskritische Kunst sucht man bei Petra Weifenbach vergebens, vielmehr bestimmt Humor ihren Duktus. Bei einem Thema jedoch verstehen sie und ihr Mann Axel Siefer keinen Spaß: Rassismus. Und die Corona-Pandemie sei auch ein Grund für das Ausmaß der Proteste, die der mutmaßlich durch Polizeigewalt verursachte Tod des Afroamerikaners George Floyd auslöste. „Die Menschen wissen, dass die Pandemie jeden und am schlimmsten die Schwächsten trifft“, glaubt Axel Siefer. Das mache sie sensibler gegenüber gesellschaftlich so brisanten Problemen wie Rassismus. Und als er regelmäßig das Geläut der nahe gelegenen St.-Michaelis-Kirche hörte, fragte er sich: „Mittags um 12 das Hoffnungsläuten in der Corona-Krise, abends um 18 Uhr noch einmal Kirchenglocken – warum sollen wir der Kirche ein derartiges Monopol überlassen?“ Axel Siefers Antwort darauf und Gegenpol zum Hoffnungsläuten ist Musik: Am offenen Fenster intoniert er zum Kirchengeläut die „Ode an die Freude“ auf dem Klavier. „Sechsmal spiele ich die Melodie der von Schiller gedichteten und später von Beethoven vertonten Verse, dann sind die mit dem Läuten auch fertig“, sagt Siefer – Zeit genug, dass Nachbarn und Passanten stehenbleiben oder auf den öffentlichen Bänken unter dem Fenster Platz nehmen, um zuzuhören.
Und um zu sehen: Axel Siefer und Petra Weifenbach sind nicht nur ein Paar, sondern auch ein Team und als solches haben sie ein Banner gegen Rassismus entworfen, dass gut sichtbar über dem Ateliereingang und gleich unter dem Fenster hängt, an dem Siefer spielt. „Das ist ‚Social Art‛ und ein Langzeitprojekt, um unsere Haltung zum Rassismus zu zeigen“, sagt Siefer. „Und weil wir hier noch neu sind, wollen wir gern wissen, wie die Lütjenburger so ticken“, ergänzt Petra Weifenbach. Die zeigen sich offen und interessiert: „Ein Nachbar steigt aus dem Auto und flötet mit, eine afrikanische Mitbürgerin bleibt mit ihren kleinen Kindern stehen und findet freundliche Worte, viele Menschen applaudieren“, fasst Siefer zusammen.
Jetzt wünschen sie sich, dass noch mehr Menschen und die Stadt Lütjenburg mitmachen, um öffentlich Position gegen Rassismus zu beziehen. Die Chancen dafür stünden gut, meint Siefer: „In der Krise wird vielen klar, dass das Leben nicht so einfach ist, wie man es in guten Zeiten zu glauben bereit ist.“ Kunst und Kultur seien so etwas wie ein Kitt, der die Gesellschaft auch in schwierigen Zeiten zusammenhalte und die Menschen offen gegenüber schwierigen Themen mache.
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