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MSR 300

Mecklenburgische Seenlandschaft als Radmarathon | Mai 2024

Dann ist es also jetzt soweit, erstes Event in Richtung Straße und Radmarathon. Viele Rennräder, viele Gruppen. Das wird eine neue Erfahrung, bestimmt aber eine gute. Die Mecklenburgische Seenlandschaft ist schön, so auch bestimmt die “Mecklenburgische Seen Runde” in der 300 Kilometer Variante, der “MSR 300”.

Neubrandenburg, angekommen, am Waldrand parken, Motor aus. Wie spät ist es? 2:30 Uhr, du hast also noch Zeit, etwas. Warum eigentlich dieser Startblock zu dieser unhumanen Zeit, was hast du dir dabei gedacht? Seit 19 Stunden wach, nochmal ein Powernap versuchen? Ja komm, los, auf dem Beifahrersitz. Diese Vorfreude. Oje, das wird nix. Was solls, pell dich schon mal in die Spandex-Montur und dann ab zum Frühstück. Sehr gut investierte 7,50 Euro, hoffentlich.

Da schwirren ganz schön viele Viecher um die summende Straßenlaterne. Zum Glück spendet die Licht, du hast die Stirnlampe vergessen. Alles festzurren, das Zeug am Rad nochmal gedanklich durchgehen. Hast du alles? Bestimmt. Was sagt die Wetter-App? Kein Gewitter, sehr gut. Regen? Sie ist sich unschlüssig. Regenjacke kommt mit. Wasserdichte Socken und Handschuhe bleiben im Auto. Es ist warm genug, du wirst schon nicht durchnäßt frieren.

So, wo musst du hin? Überflüssig, immer dem Bass nach, das hört sich ganz nach einer größeren Veranstaltung an. Noch kurz hier über die steile Brücke und dann solltest du … ah, Lichter. Ein Start- und Zieltor. Massig Zelte und Fahrräder. Hier bist du richtig.

Wo ist die Anmeldung? Was ein Gewusel, jetzt schon. Und es ist noch mitten in der Nacht. Einen guten Startblock hast du ausgesucht, nach dem Sonnenaufgang stehen sich hier bestimmt alle auf den Reifen und Füßen rum. Ah, da vorne musst du rein, großes weißes Zelt. Am länglichen Tisch werden viele Turnbeutel in Altrosa ausgegeben, da wird man dich bestimmt erwarten, hoffentlich. Mobiltelefon raus, Anmeldebestätigung der freundlich lächelnden Dame ins Gesicht halten. Du nimmst den Turnbeutel mit Startnummern und Infomaterial entgegen, Anmeldung geglückt. Nun frühstücken.

Kaffee. Sensationell. Müsli. Großartig. Brötchen. Toll.

Was sagt die Uhr? Du hast noch Zeit. Was machst du nun als erstes? Startnummern an dich und an das Rad basteln? Technik-Geraffel anwerfen, einstellen und scharf schalten? Nochmal aufs WC? Machs einfach wie deine Kids. “Eine-kleine-Mickey-Mouse-zog-sich-mal-die-Hosen-aus-zog-sie-wieder-an-und-du-bist-dran.” Du fuchtelst mit dem Zeigefinger zwischen Rad, Turnbeutel und WC hin und her. Der da vorne schaut dich voll schräg an. Startnummern also als erstes festbasteln, dann mal los.

Gesamte Checkliste ist erledigt, auf zum Vorstart. Das flutscht hier nur so durch. Zack, der nächste Block kurbelt davon. Ach, wie angekündigt kommt nun auch der Beleuchtungscheck. Der ältere Herr vor dir hat keine Reflektoren am Rad, die weisen den echt ab, bitter. Er soll sich welche im Zelt da hinten ranbauen lassen, na denn. Jetzt du, prüfende Blick auf deinem Rad, du wirst durchgewunken, auf in den Startbereich.

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Es wird voller. Macht es Sinn sich an die Seite zu stellen, den Start in aller Ruhe mit der GoPro festhalten? Auf jeden Fall, eine gute Idee. Alle sind gestartet, du bist nun der einzige im jetzt völlig leeren Startbereich. GoPro ans Rad und dann ab dafür. Schnell aufholen.

Die innerstädtische Anfangsphase ist gediegen, es rollt dahin. Eine sich frei formierende schnellere Gruppen meinst du schon ausgemacht zu haben, schon mal in Position bringen und ranhängen. Die geben bestimmt bald Kette und sind dann weg. Ausweichzeichen nach links vom Vordermann, deine Gruppe überholt. Yeeha, zwei Liegefahrräder, körperlich eingeschränkt, nur mit Armantrieb! Die fetzen die 300 Kilometer einfach mal so runter. Helm äh Hut ab!

Später, ein lautes Sammelsurium an Surr-Geräuschen nähert sich von hinten. Eine ca. 10 Personen starke Gruppe, wesentlich schneller als deine momentane. Los, ranhängen. Gute Entscheidung, das läuft, zweireihig. Hoffentlich hast du dich jetzt nicht einfach in eine geführte Truppe reingeschlichen. Ach, und wenn schon. Halt dich erstmal hinten und guck mal wie die fahren und rotieren. Ok, kein klarer Ablauf. Zwei fahren die ganze Zeit vorne und schaufeln den Wind zur Seite. Du würdest ja auch mal, aber irgendwie bleibt das statisch hier in der Gruppe. Naja, es rollt zügig dahin, immerhin.

Depot 2/7 in Sicht, Neustrelitz, KM 83. Depot 1/7 in Feldberg hast du übersprungen, das Depot hier gibst du dir nun. Alle biegen ab. Eine kleine Nebenstraße, es ruckelt. Ein Schulgelände, oder irgrendwas in der Richtung. Ganz schön voll hier. Die Gruppe von eben? Verteilt sich. Denk an die GoPro, filmen, danach Bedürfnisse abdecken. Super, die haben hier Gewürzgurken. Nun noch zum WC und dann wieder ab dafür. Uff, das WC ist auch gut besucht.

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Es rollt wieder, du bist fast alleine. Schalt mal einen Gang runter, da wird schon was von hinten kommen, irgendwann. Es sind jetzt bestimmt schon 10 Minuten vergangen, da kommt nix. Eine rote Ampel, perfekt. Fix das Rad hier am Baum anlehnen und nochmal pischern. Es surrt, sehr einheitlich, und laut. Come on. Hinter dir fetzt eine ca. 15 Personen starke Gruppe über die Kreuzung. Schnell alles hygienisch einwandfrei einpacken, wieder aufs Rad, hau rein!

Bah, die sind bestimmt 250 Meter voraus, das lohnt nicht. Du spielst dich doch total kaputt. Kurzes Abwägen. Die Irrationalität siegt, alles auf Anschlag, Vollgas. Wenn du jetzt auf deiner Verfolgungsjagd da vorne an der etwas langsameren Gruppe vorbei schießt, denken die doch bestimmt du hast sie nicht alle. Egal, los los los! Du überholst die langsamere Gruppe, wie ein Berserker. War das ein Kopfschütteln im Augenwinkel? Vielleicht. Mindestens aber ein Augenrollen. Und weiter, du holst auf!

Puh, geschafft. Das hat Körner gekostet. Erstmal im Windschatten ziehen lassen und ausruhen. Die große Gruppe walzt förmlich über die jetzt dominanten Waldstraßen, super. Gute Entscheidung reinzuhauen. Kurzer Blick vor, zurück und zur Seite. Jeder starrt um dich herum nur auf das vorausfahrende Hinterrad, die meisten sind mit dem Haushalten der eigenen Energie beschäftigt und in sich gekehrt. Hoffentlich dauert es noch bis zum nächsten Depot, hier läufts.

Depot 3/7 in Sicht, Schwarz, KM 125, Mist. Einige wenige Arme in der Gruppe geben den Abbiegehinweis, von vorne und hinten irgendwelche hektischen Rufe. Du biegst ab, einige wenige auch, die meisten jedoch nicht. Merde, der Großteil der Gruppe kurbelt straff an der Depotausfahrt vorbei. Die sind weg, du bist annähernd alleine. Na dann roll erstmal ins Depot, Gewürzgurken schlemmen. Hui, ein Lagerfeuer.

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On the Road again. Ah super, diesmal geht es schneller, eine 25 Personen starke Gruppe, nähert sich von hinten. Bereit machen, da hängst du dich wieder ran. Sehr schön, hier rollt es beständig schnell dahin. Gut, Zeit für einen Podcast. “Weird Crimes”? Au ja, da hast du Lust drauf. Folge? “Die Rentner-Räuberbande”? Sowas von deins! Die Zeit vergeht, der Podcast vergeht. Du musst schmunzeln, nicht nur einmal. Es entweicht dir ein leises Kichern, der Mitfahrer neben dir schaut schräg, du lächelst ihn an.

Depot 4/7 in Sicht, Röbel, KM 156. Alles parkt und verteilt sich. Diesmal ein Sportplatz. Grade ist Fußballtraining. Jetzt wieder der übliche Ablauf. Filmen, Trinkflaschen, Essen, WC. Du bist abfahrbereit. Kurz nochmal umschauen, vielleicht fährt grad eine Gruppe los? Keine potentielle Gruppe in Sicht. Ab vom Hof, mach moderat alleine weiter und schau was passiert. Abfahrt.

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Etwa 30 Minuten sind vergangen, hinter dir rollt endlich etwas an. Nicht wesentlich schneller, aber die nähern sich langsam. Super, da steigst du wieder mit ein. Eine ca. 10 Personen starke Gruppe schwimmt langsam an dir vorbei, hinten einreihen und los gehts. Ah, es wird strukturiert zweireihig gefahren, sehr schön. Dein Podcast endet, war funny. Nun Musik, du brauchst Musik. Der Playbutton an den Shokz wird erneut gedrückt. Kilometer um Kilometer ziehen die weißen Straßen-Begrenzungspfähle gedankenverloren an dir vorbei.

Irgendwann, von der Seite kommt ein “Wollen wir mal aussteigen”. Du reagierst nicht, du bist noch im Gehirn-Standby. Die Frage wiederholt sich. Dein Standby wechselt auf Betriebsbereit. Ach, du bist gemeint. Natürlich bist du gemeint, wer sonst? Du entschuldigst dich fix bei deinem Zweireihen-Partner, dann scheeren du links und er rechts aus. Die Spitze ist frei, die nächsten werfen sich in den Wind. Ihr scheert am Ende des Zuges wieder ein.

Depot 5/7 in Nossentiner Hütte in Sicht, die Handzeichen zum Abbiegen gehen raus. Nicht von dir, du fährst weiter. Und schwupps bist du wieder alleine. Gleiches Spielchen, da kommt schon was von hinten. Niesel setzt ein, hoffentlich nicht mehr. Bitte. Da kommt niemand von hinten, schade. Der Niesel steht mittlerweile auf der Schwelle zu Regen, ist sich aber uneinig. Gut eine Stunde später, der Nieselregen verkriecht sich, sehr gut.

Wusch. Hui, die drei sind fix unterwegs. Das wird dir die Zähne ziehen, du weißt das. Aber, hey, bevor du schon wieder wirklich lange alleine fährst, ran da. Du bist dran. Ob das so eine gute Entscheidung war? Du hast noch ca. 100 km vor dir. “Ah, wir haben Zuwachs” ertönt es dir entgegen. Du bist ehrlich und antwortest: “Nur für kurz.” Keine Chance, nicht deine Liga. Ein paar Kilometer später, du musst die drei ziehen lassen.

Das war keine gute Idee. Erstmal moderat weiter kurbeln und erholen. Oh, schöne Szenerie hier, hol mal die GoPro raus. Irritation. Warum läuft die schon? Oje, die war die ganze Zeit in der Trikottasche an, der Akku ist voll leer gelutscht. Blöd, sehr. Du wolltest doch möglichst viel festhalten und ein wenig zusammenschneiden. Nun musst du haushalten, mit dem Akku.

Lautes Surren, von hinten. Bist du schon wieder bereit? Muss ja. Und erneut einsteigen, auf gehts. Die sechs hier haben auch ziemlich Zug drauf. Das geht ebenfalls ab. Ah, aber sehr fein, hier wird auch rotiert, kostant. Anderseits sehr schade, einmal im Wind und du wirst die ziehen lassen müssen. Es ist gleich soweit, vor dir wird ausgescheert, du stehst im Wind. Ach komm, tritt denen das zurecht, danach ein Gel. Langsam brennt es. Da kommen noch ordentlich Kilometer, du weißt das, du musst ausscheeren. Ausscheeren, hinten wieder einscheeren, Gel raus, aufbeißen, rein damit. Kurzes Husten, voll verschluckt. Ah, Nein, Abriss. Uff, hau rein, das schaffst du, du kommst nochmal ran. Nicht.

Spiel dich nicht völlig kaputt, das war besser so, wirklich. Du bist plötzlich völlig fasziniert von dem schnellen Fahren in einer konstant rotierenden Random-Gruppe. Die Gedanken verlieren sich wieder, gut für ein bisschen Erholung. Du kurbelst beständig weiter. So eine zügige Gruppe, gleich zu Beginn. Das wäre richtig fetzig geworden, denkst du dir.

Vorletztes Depot 6/7 in Sicht, Alt Schönau, KM 242. Das übliche Spiel wartet, Bedürfnisse abdecken. Ziemlich leer hier, irgendwie. Sehr gut, die haben Gewürzgurken, Brot und Obstsalat. Nach dem ganzen reingeschaufelten Schrott mal wieder was “Normales”. Was sagt die GoPro? Oha, mickrige 7 Prozent. Du brauchst noch Akku für den Zieleinlauf, denk dran, sei nun noch sparsamer. Auf gehts, es wird Zeit, ab ins Ziel.

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Die Landschaft zieht dahin, die Sonne kommt raus. Depot 7/7 in Groß Vielen zieht ungesehen an dir vorbei. Es wird warm, so richtig. Noch zwei-dreimal schnelles lautes Surren von hinten. Du denkst jedesmal kurz drüber nach, lässt aber stecken. Die letzten Kilometer fährst du nun moderat alleine zuende. Weit ist nicht mehr.

Ortsschild Neubrandenburg, gleich geschafft. Feiner Schotter, Spaziergänger, ein Gewässer tut sich auf. Das kennst du, das ist der Tollensesee. Sieht am Tage irgendwie anders aus, da vorne sollte aber die steile Brücke kommen. Da ist sie, fetzig. Drüber und ab ins Ziel. Durch die Lautsprecher ertönt dein Name, du passierst den Ziel-Bogen, du bremst. Eine junge Dame nähert sich und verteilt Medaillien, auch an dich. Großartig, das wars dann also, der MSR 300.

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Hui, jetzt ist hier aber viel los. Und so viele Fressbuden. Wie lange bist du nun eigentlich wach? Du versuchst zu rechnen, mehrfache Anlaufschwierigkeiten, dann ein Ergebnis. 33 Stunden, oje. Naja, aber ein gutes Training für die Bikepacking-Mehrtagestouren.

Komm, schnell noch ein Avocado-Eis, danach ein ausgiebiges Nickerchen auf dem Beifahrersitz, und dann irgendwann ab nach Hause.

Was sagt eigentlich das Navi? 305 Kilometer, 1.850 Höhenmeter, 30er Schnitt. Ist doch in Ordnung, aber da geht noch was. Unterm Strich eine tolle neue Erfahrung, gerne wieder. Und dann direkt von Beginn an mit einer grandiosen Random-Truppe bis zum Schluss durchbrettern. So der Plan.